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Hanna Lewinson

Hanna Lewinson wurde 1920 in Uelzen geboren und lebte mit ihren Eltern im Haus ihres Großvaters in der Alewinstraße. Mit ihrer Schwester Ruth verlebte Hanna eine glückliche Kindheit. Mit knapp sechs Jahren wurde sie in die Volkschule Uelzen eingeschult, wechselte nach der Grundschulzeit an das Lyzeum, das sie nach Repressalien durch ortsansässige Nationalsozialisten 1937 verließ. Ihre schulische Ausbildung in Verbindung mit einem großen Praxisanteil setzte sie in Hamburg im Paulinenstift fort, absolvierte dann ein Sekretärinnenseminars in Kassel und verließ Deutschland im Januar 1939.

Am Ende dieses Beitrages finden Sie die Video-Aufzeichnung eines Gespräches mit Hanna Lewinson.

Im Rahmen einer Veranstaltung zum Holocaust-Gedenktag 2019 trugen Mira Schumann, Eva Rungweber, Leona Großmann (Schülerinnen des Herzog-Ernst-Gymnasiums Uelzen) Textpassagen aus der Biographie Hanna Lewinsons geb. Horwitz vor, die Dietrich Banse 2017 verfasste:

C Hanna Lewinson - Foto: Privat
Hanna Lewinson – Foto: Privat

„Sie erinnert sich gerne an ihre Klassenlehrerin Fräulein Helms wie auch an andere Lehrerinnen und Lehrer. Beim Betrachten eines Klassenfotos werden Erinnerungen an einzelne Mitschüler und Mitschülerinnen wach. Es ist ihr immer wieder wichtig, Kinder zu benennen, mit denen sie in dieser Zeit befreundet war. Sie hat die Grundschulzeit in guter Erinnerung, ,da habe ich nicht gemerkt, dass ich anders war als die anderen’. Zu der Zeit hatte sie Freundinnen, die auch zu ihr nach Hause kommen durften. Hanna war Mitglied im Turnverein Uelzen, in dem sich auch andere Jugendliche jüdischen Glaubens aus Uelzen sportlich betätigten. Nur der Religionsunterricht verlief für Hanna etwas anders, er fand nicht mit den anderen Schülern in der Schule an der Taubenstraße statt…“

„Der Machtantritt der NSDAP am 30. Januar 1933 veränderte nach kurzer Zeit zwar die schulische Situation radikal. Doch die wohlwollende Einstellung einzelner Lehrer ihr gegenüber blieb. So berichtete sie positiv von ihrem Klassenlehrer Herrn Ungerer, wie auch von Herrn Troch, ihrem Französischlehrer und dem Direktor des Lyzeums, Oberstudiendirektor Zimmermann, die sich auch nach der Machtübernahme der Nazis anständig ihr gegenüber verhalten hätten. Nur der Musiklehrer, den sie als Antisemiten bezeichnete, konnte nun endlich seine antisemitische Einstellung zeigen und ließ schon mal das Hetzlied ,Wenn das Judenblut vom Messer spritzt…’ öffentlich ,singen’. Doch der Rassismus der Nationalsozialisten zeigte sich auch in dieser Schule nicht nur in der Bereitstellung anderer Lernmaterialien und neuer Verordnungen für den Unterricht mit einer eindeutigen antisemitischen Zielsetzung. Auch die gesetzlichen Vorgaben waren klar rassistisch. So bestimmte das ,Gesetz gegen Überfüllung von Schulen und Hochschulen’ vom 25. 4. 1933 die Anzahl von Neuaufnahmen jüdischer Schüler und Schülerinnen in höhere öffentliche Schulen und legte den ,Höchstanteil’ von ,nicht arischen’ Schülern an der Gesamtschülerzahl einer Schule auf 5 % fest, eine Festlegung die für das Uelzener Lyzeum ohne Bedeutung war, da außer Hanna zu der Zeit keine weitere jüdischen Schülerin das Lyzeum besuchte. Stärker noch als die ersten gesetzlichen Maßnahmen wirkte sich aber der wachsende, öffentlich geförderte alltägliche Antisemitismus auf Hannas Schulleben aus. Das Verhalten der Mitschülerinnen zu Hanna änderte sich nun allmählich . So wandten sich Schulfreundinnen, mit denen sie schon seit der Grundschulzeit zusammen war, von ihr ab…“

„So übten in Uelzen, wie auch anderswo, ältere Jugendliche, junge Erwachsene, die führend in der Hitlerjugend (HJ) oder dem Bund Deutscher Mädchen (BDM) tätig waren, Druck auf die Schulleitungen aus und forderten die Diskriminierung, wenn nicht gar den Ausschluss jüdischer Schüler und Schülerinnen aus der Schule. So bat bald der Direktor des Lyzeums, Oberstudiendirektor Zimmermann, Hanna zu einem Gespräch zu sich nach Hause, wo er ihr mitteilte, dass sie, da sie Jüdin sei, ab sofort in der Klasse an einem Einzeltisch sitzen müsse. Er gestand ihr mit Tränen in den Augen, dass er verpflichtet worden sei, diese Anordnung an sie weiterzugeben, wobei er andeutete, dass er sich dem Druck beuge, den die Leitung der örtlichen bzw. regionalen BDM-Gruppe auf ihn ausgeübt habe.

Hanna hörte sich nach eigenem Bekunden diese Ausführungen an, die mit der Empfehlung des Schulleiters endeten, seiner Weisung nicht zu folgen und doch eher von der Schule abzugehen. Diesen nicht ganz uneigennützigen Rat des Schulleiters, da mit einem möglichen Weggang Hannahs wieder auch Ruhe in seine Schule einkehren würde, nahm Hanna zum Anlass, sich am Abend des gleichen Tages mit ihren Eltern zu beraten. Am Ende des Tages stand für sie fest: ,Ich verlasse die Schule, ich werde das Gebäude nicht mehr betreten.’ und trotzig fasst sie ihren Entschluss in einem persönlichen Statement zusammen: „Wenn mich keiner mehr haben will, dann geh’ ich weg, ob ich das Abschlusszeugnis habe oder nicht, das wird mir in der Fremde auch nicht weiterhelfen… Ich habe meine Zeit in der Schule verbracht, habe den Stoff gut gelernt.“ Im Gespräch mit den Eltern legte sie ihre weitere Schullaufbahn fest: „Zunächst der Besuch einer Hauswirtschaftsschule, die uns empfohlen wurde, danach Wechsel an eine Handelsschule“… Hanna betrat aus eigenem Entschluss nicht mehr die Schule in Uelzen. Spätestens jetzt war ihr klar: „Hier in Deutschland ist keine Zukunft mehr für mich, ich muss auswandern.“ Um im Ausland sofort eine Arbeit zu bekommen und dort nicht auf Unterstützung von Verwandten angewiesen zu sein, entschloss sie sich für eine Ausbildung im Bereich Hauswirtschaft. Mit ihrem Abgangszeugnis fuhr sie im Frühjahr 1937 nach Hamburg und meldete sich dort zu einem Lehrgang an, der junge jüdische Frauen auf die Emigration vorbereiten sollte. Dieser Kursus fand in der neu gegründeten ,Hauswirtschaftsschule’ im Paulinenstift am Laufgraben statt.

Im Januar 1939 machte sich Hanna Horwitz – mittlerweile 18 Jahre alt – auf den Weg. Sie nahm Abschied von ihrer Familie, verließ Deutschland und emigrierte in die USA: „Ich spürte keinen Abschiedsschmerz, ich wusste, hier in diesem Land gibt es keine Zukunft mehr für mich, ich muss raus.“ Schwer fiel ihr der Abschied von ihrem geliebten Großvater, den sie oft bei seinen Besuchen bei Gemeindemitgliedern begleitet hatte und den sie nach ihrem Weggang aus Uelzen nicht mehr wiedersehen sollte. Sie fuhr in Begleitung ihrer Eltern und ihrer Schwester nach Hamburg und schiffte sich dort auf dem amerikanischen Passagierdampfer „Washington“ ein. Die Erleichterung, Deutschland verlassen zu können, muss sehr groß gewesen sein, denn sie erzählt, sie habe, als sich das Schiff in internationalen Gewässern befand, mit amerikanischen Studenten auf dem Parkett der Bar getanzt, unendlich glücklich darüber, Nazi-Deutschland endlich hinter sich gelassen zu haben. Eltern und Schwester ließ sie in Deutschland zurück, die den kränklichen Großvater in Uelzen pflegten. Doch Hanna schwor sich, dafür zu sorgen, dass die Familie Deutschland verlassen konnte. Auf dem Schiff befanden sich sehr viele deutsche Juden, die nun genauso wie sie vor Glück und Erleichterung weinten, als sie nach der langen Überfahrt endlich die „Statue of Liberty“ in der New Yorker Hafeneinfahrt erblickten. Das Gefühl, frei zu sein, überwältigte sie, ließ alle Sorgen für kurze Zeit vergessen.

Die Erleichterung war jedoch nur von kurzer Dauer, denn sie sah sich nun in die Pflicht genommen, für die Einreise ihrer Eltern und ihrer Schwester zu sorgen. Bei diesem Bemühen wurde sie von der Verwandtschaft ihrer Mutter unterstützt. Aber Hanna war bestrebt, die finanziellen Lasten, die die Einreise ihrer Familie mit sich bringen würden, möglichst selbst zu tragen. Neben den Kosten der Überfahrt waren Rücklagen für die Bürgschaft zu bilden, die der amerikanische Staat von den Gastgebern der Flüchtlinge verlangte, da die USA für eventuell anfallende Sozialkosten nicht in Anspruch genommen werden wollten. Ebenso musste sie für Miete und Lebenshaltungskosten sparen, da sie für die ersten Monate, in denen ihre Eltern dann in den USA lebten, für sie aufzukommen hatte. Zudem musste sie selbst als deutsche Emigrantin mittels zahlreicher Papiere nachweisen, dass sie überhaupt in der Lage war, notfalls für ihre Eltern zu sorgen…

War der 8. Mai 1945 für die Amerikaner ein Tag des Sieges, so wurde für Hanna das Frühjahr 1944 zum einschneidenden Erlebnis:

„Es war der beste Tag in meinem Leben, als mir die amerikanische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, als ich das ,citizenpaper’ in den Händen hielt und ich mir sagte: ,Gott sei Dank, ich bin nicht mehr deutsch’.“

Hanna Lewinson

Mehr Informationen zur Veranstaltung „Holocaust-Gedenktag 2019“ finden Sie hier.

Trotz alledem: Nach dem Krieg kehrte sie nach Uelzen zurück, wenn auch anfangs schweren Herzens, doch aus Liebe zu ihrem Sohn Dennis, der sich sehr für die Heimat seiner Eltern und Großeltern interessierte. In Uelzen besuchte sie eine alte Freundin und traf auch ehemalige Mitschülerinnen: „Alle, die damals mit mir nichts zu tun haben wollten waren nun nett zu mir, manche haben sich entschuldigt.“

Doch bei ihren Besuchen in Uelzen ging sie auch Menschen nicht aus dem Weg, die ihr in der Jugend das Leben erschwert hatten, die mit dafür gesorgt hatten, dass sie die Schule verlassen musste. Sie sprach mit ihnen, nahm ihre Entschuldigungen an und vergisst bis zum heutigen Tag trotzdem nichts. In den Begegnungen mit ihr war ich beeindruckt von ihrem Mut, von ihrer Offenheit und ihrer Stärke. Ich brauchte sie nicht zu überzeugen, wie wichtig es ist, jungen Menschen von ihren Erlebnissen in der Nazi-Zeit zu berichten, so trat sie mehrfach als Zeitzeugin in Uelzener Schulen auf.

Dietrich Banse im Gespräch mit Hanna Lewinson: 18. und 19. August 2008

Teil 1 des Gespräches.

Teil 2 des Gespräches.

Dietrich Banse

Zur Person: *6.April 1945, Studium an der Pädagogischen Hochschule Lüneburg, Lehrer von 1971-2008. Gründungsmitglied der Geschichtswerkstatt Uelzen e.V. Schwerpunkte: Geschichte der Uelzener Juden, Uelzen in der Zeit zwischen 1918 – 1945. Sowie Mitarbeit in anderen regionalen Geschichtsvereinen.