Dieser Text ist dem Band „gedemütigt vertrieben ermordet“ der Geschichtswerkstatt Uelzen entnommen. in seinem Bericht berichtet Dietrich Banse – der Hauptorganisator – über Idee, Zielvorstellung und Realisierung der Gedenkveranstaltung.

Schon im Oktober 2005 begann ich, zusammen mit Mitgliedern der Geschichtswerkstatt Uelzen (GwUe) und der „Arbeitsgruppe Gedenktafel“, Vorbereitungen zur Durchführung der „Tage der Erinnerung“ zu treffen.

ZIELVORSTELLUNGEN

Namentliches Gedenken

Zahlreiche Uelzener Bürger jüdischen Glaubens wurden in Lagern ermordet,ihnen auf diese Weise (Gedenktafel) in ihrer Heimatstadt zu gedenken ist eine menschliche Pflicht. Konkretes Erinnern an die Uelzener jüdischen Glaubens Ein Gang durch die Stadt Uelzen gibt nicht die Möglichkeit, in angemessener Form an die Uelzener jüdischen Glaubens zu erinnern,die in der Zeit zwischen 1933 und 1942 in Uelzen lebten. Ihre Rechte, ihre Lebensmöglichkeiten als Bürger dieser Stadt und dieses Landes wurden im Verlauf der Jahre immer stärker eingeschränkt. Einige dieser Menschen verließen bald nach der Machtergreifung ihre Heimat, andere hofften auf einen Wandel, blieben in ihrer Heimatstadt, vertrauten gar auf die Unterstützung von Freunden, nahmen dafür auch Demütigungen in Kauf. Sie wurden enttäuscht und mussten für ihr Verbleiben in der alten Heimat dann in den meisten Fällen mit dem Tod bezahlen,entweder starben sie auf den Transporten zu den Vernichtungslagern oder wurden dort ermordet. Geste der Versöhnung In den vergangenen Jahren schafften es nur einige Angehörige der vertriebenen Familien, Uelzen zu besuchen. Der Versuch, alle noch lebenden Angehörigen anzusprechen, Repräsentanten der einzelnen Familien nach Uelzen einzuladen,wurde bislang nicht unternommen.

Angebot an nachfolgende Generationen

Das Projekt wird jungen Menschen die Möglichkeit eröffnen,sich mit der Geschichte einzelner Familien zu befassen, z. B. eigene Bei. träge zu einer geplanten Ausstellung anzufertigen.

WELCHE MÖGLICHKEITEN GIBT ES, DIESE ZIELVORSTELLUNGEN UMZUSETZEN?

Gedenktafel

Am Ende eines längeren Beratungsprozesses innerhalb einer kleinen Gruppe Uelzener Bürger, die sich im Nachklang zur Ausstellung Blickwechsel der Evangelischen Landeskirche Hannover zusammen- fanden, stand der Vorschlag,die in Uelzen ab 30. 1. 1933 gemeldeten Bürger jüdischen Glaubens auf einer Metalltafel namentlich mit Geburtsdatum aufzuführen. Dieser Auflistung sollte folgender Text vorstehen:

Gedemütigt -vertrieben -ermordet
Zum Gedenken an die Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens, die unter der nationalsozialistischen Herrschaft bis 1942 in Uelzen lebten

Diese Tafel sollte an einem noch näher zu bestimmenden Gebäude so angebracht werden, dass sie von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann, zugleich sollte es auch ein Ort sein, der zur Besinnung einlädt.

Gedenkbuch

Auf der Gedenktafel werden die Uelzener Bürger jüdischen Glaubens mit ihrem Geburtsdatum aufgeführt, die zwischen dem 30. 1. 1933 und Ende 1942 noch in Uelzen lebten. Zeitgleich zu der Einweihung der Tafel ist auch an die Veröffentlichung ein Gedenkbuches gedacht, in dem der Versuch unternommen werden soll, die Lebenswege dieser auf der Tafel erwähnten Bürger detailliert aufzuzeichnen.

Ausstellung

Zeitgleich mit der Einweihung der Gedenktafel soll eine Ausstellung eröffnet werden, in der an jeden einzelnen jüdischen Bürger Uelzens in Text und/oder Bild erinnert wird. Die Darstellung jüdischen Lebens in Uelzen tritt bei dieser Ausstellung in den Hintergrund. Die Ausstellung bildet die Grundlage für die Erstellung eines Gedenkbuches.

Tage der Erinnerung

Die Einweihung der Gedenktafel wird zum Anlass genommen, die Überlebenden der Shoa, Verwandte, Angehörige (2. und 3. Generation) zu dieser Veranstaltung einzuladen,die zugleich im Mittel- punkt eines Rahmenprogramms stehen sollte.

REALISIERUNG DES PROJEKTES

Zielgruppen

NS-Opfer

Das Projekt ,Tage der Erinnerung“ richtete sich zunächst an die Menschen jüdischen Glaubens, die entweder ehemalige Uelzener Juden waren und/oder an Angehörige der ,Zweiten Generation“,die ihren verstorbenen Familienangehörigen die letzte Reverenz erweisen wollten. Es leben heute (30. 9. 2008) noch vier jüdische Frauen, die zwischen 1934 und 1939 Uelzen bzw. später Deutschland verließen, drei von ihnen nahmen an diesen Projekttagen teil. Angehörige der „Zweiten Generation“ kamen auf eigene Kosten (Anreise), ihnen war es wichtig, als Repräsentanten ihrer Familien in Uelzen in diesen Tagen aufzutreten, Angehörige der dritten Generation begleiteten ihre Eltern bzw. Großeltern.

Einheimische Jugendliche

Mit drei Uelzener Schulen arbeitete die Geschichtswerkstatt Uelzen schon vor Beginn des Projektes kooperativ zusammen:

  • Schüler einer Schülerfirma der Lucas-Backmeister-Schule (HS) fertigten qegen Erstattung der Sachkosten 25 Ausstellungsstelen, an die später die Portraits jüdischer Bürger Uelzens (Foliendruck) befestigt wurden. Im Oktober 2006 stellte ich ca. 40 Hauptschülern das Projekt im Rahmen einer Doppelstunde vor.
  • Schüler der 9. /10. Klasse Realschule (Theodor-Heuss-Realschulal befassten sich im Vorfeld des Projektes ausführlichmit der Ge. schichte der Juden Uelzens, insbesondere mit der Zeit zwischen 1919 und 1942. Sie gingen dabei auch Spuren einer ehemaligen jüdischen Schülerin dieser Schule nach und fanden im Archiv der Schule eine Personalstammkarte, die ihr nun während ihres e Besuches in Uelzen überreicht wurde.
  • Schüler der Video-AG des Herzog- Ernst-Gymnasiums bereiteten sich auf die filmische Dokumentation der Woche vom 7. 11. bis 11. 11. 2006 vor, die dann auch realisiert wurde.
  • Jugendliche aller Schulformen diskutierten mit den Gästen im Rahmen einer Zeitzeugenbefragung sowie anlässlich der Besichtigung der Gedenkstätte Bergen-Belsen.
  • Junge Erwachsene einer Arbeitsloseninitiative (IDA) begleiteten die Gäste während der Projekttage in der Absicht, darüber mehrere Zeitungsberichte zu schreiben, die später Mittelpunkt einer ersten Ausgabe einer lokalen Arbeitslosenzeitung wurden.

Öffentlichkeit

Es war unser großes Anliegen, mit diesem Projekt (Gedenktafel -Besuch -Ausstellung)auch die Offentlichkeit zu erreichen, um sie für diese Thematik unter Bezugnahme auf das lokale Gesche- hen zu sensibilisieren.

Darstellung der durchgeführten Aktivitäten

Gedenktafel

Die Arbeitsgruppe Gedenktafel bildete sich 2001 am Ende der Ausstellung Blickwechsel, durchgeführt von der Evangelischen Landeskirche Hannover, die in Uelzen vom 31. 5. bis 24. 6. 2001 präsentiert wurde. Angeregt von dieser Ausstellung beschloss man in der Arbeitsgruppe, sich für ein sichtbares Erinnern an die Verfolgung jüdischer nach 1933 zu engagieren. Nach längerer Diskussion entschied man sich für eine Gedenktafel,auf der die Namen der jüdischen Bürger aufgeführt werden sollten, die zwischen 1933 und 1942 in Uelzen lebten. Für die inhaltliche Ausführung (Namen der jüdischen Bürger, das Geburtsjahr) stand als Grundlage eine genealogische Auflistung einzelner jüdischer Familien Uelzens zur Verfügung, doch war diese Auflistung nicht vollständig,so dass erst nach sehr zeitaufwendiger Recherche eine Liste von 49 jüdischen Bürgern erstellt werden konnte. Die Gestaltung der Gedenktafel wurde einem Künstler übertragen,der schon zu einem früheren Zeitpunkt sich gestalterisch mit der jüngeren Vergangenheit Uelzens auseinandergesetzt hatte. Die Finanzierung erfolgte größtenteils durch eine Spende der Sparkassenstiftung der Sparkasse Uelzen und durch Spenden einzelner Bürger und Kirchengemeinden des Kirchenkreises Uelzen.

Ausstellung

Grundlage der Ausstellung waren Recherchen in Archiven, Standesämtern, Ergebnisse eines umfangreichen Literaturstudiums sowie ein über mehrere Jahre andauernder Kontakt zu einzelnen nun im Ausland lebenden Uelzener Juden. Sie waren bereit, Einblick in ihre Familiengeschichte zu geben (Briefe, Interviews, Leihgaben). Nur so war es möglich, wenn manchmal auch nur skizzenhaft, das Schicksal einzelner Uelzener Juden zu beschreiben. Die Texte wurden auf Folie oft in Verbindung mit einem Foto gedruckt und an Stelen (50 x 30 x 180 cm) befestigt. Die vorhandenen 25 Stelen umgrenzten den auf dem Boden befindlichen Stadtplan der Stadt Uelzen von 1938 (230 x 250 cm), auf dem die einzelnen Wohnorte der jüdischen Bürger eingetragen waren.

Besuchsprogramm

Die Mehrzahl der Gäste traf im Verlauf des späten Nachmittags am 7. 11. 2006 in Uelzen ein. Höhepunkte im Rahmen dieses Besuchsprogramms waren

  • Begrüßung der Gäste durch den Bürgermeister und Eintragung in das Goldene Buch der Stadt Uelzen
  • Besuch des jüdischen Friedhofes
  • Gespräche mit Jugendlichen (Zeitzeugenbefragung) und Besichtigung der Celler Synagoge
  • Enthüllung der Gedenktafel mit der sich daran anschließenden Feierstunde und Ausstellungseröffnung
  • Besuch der Gedenkstätte Bergen-Belsen
  • zwei gemeinsame Abendessen, an denen Vertreter verschiedener Gruppen teilnahmen.

Zusammenarbeit

Die Zusammenarbeit mit allen an diesem Projekt beteiligten Organisationen und Institutionen verlief sehr gut. Folgende Organisationen/Institutionen ermöglichten durch finanzielle Zuwendungen die Verwirklichung dieses Projektes:

  • Stiftung ,Erinnerung – Verantwortung – Zukunft“, Berlin
  • Stiftung „Niedersächsische Gedenkstätten“, Celle
  • Niedersächsische Lottostiftung, Hannover
  • Stadt Uelzen. Der Rat der Stadt zeigte schon sehr früh seine Bereitschaft, für den ausstehenden Restbetrag eine Bürgschaft zu übernehmen.Diese Bereitschaft machte eine Planung des Projektes überhaupt erst möglich. Die weitere Zusammenarbeit mit der Verwaltung und insbesondere mit Herrn Bürgermeister Otto Lukat verlief sehr gut.
  • Kirchenkreis Uelzen und verschiedene evangelische Kirchengemeinden des Kirchenkreises Uelzen, in denen im Rahmen einer Sonntagskollekte um Spenden gebeten wurde.
  • Uelzener Unternehmen (Sparkassenstiftung, Nordzucker AG, Uelzena Milchwerke) unterstützten das Gesamtprojekt. Die Sparkassenstiftung trug mit einem namhaften Betrag zur Finanzierung der Mahntafel bei. Zuwendungen privater Spender. Eine sehr große finanzielle Hilfe erfuhr das Projekt durch die Spender, die bereit waren, das ursprünglich für die Gedenktafel gedachte Geld dem Gesamtprojekt zukommen zu lassen.

Öffentlichkeitsarbeit

Schon weit vor Beginn der „heißen Phase“ des Projektes wurde die Öffentlichkeit auf das eigentliche Kernstück des Projektes aufmerksam gemacht. So informierten Mitglieder der Arbeitsgruppe Gedenktafel schon am 9. 11. 2005 im Rahmen einer Gedenkveranstaltung über das bevorstehende Projekt und baten um Spenden. Es folgten Aufrufe, die sich im Verlauf des Jahres 2006 immer wiederholten und auch ihren Niederschlag in der Presse fanden.

DARSTELLUNG DER ERGEBNISSE

Aus der Sicht der Gäste

Alle Gäste waren mit Form und Inhalt des Besuchsprogramms sehr zufrieden. Es war für die älteren Teilnehmer eine große Genugtuung, Gäste einer Stadt zu sein, deren Führung in der Zeit zwischen 1933 und 1942 mit dazu beigetragen hatte, dass entweder sie oder ihre Verwandtschaft Uelzen verlassen mussten. Für andere Teilnehmer war es wohltuend, wenn auch manchmal durchaus zwiespältig, von Menschen angesprochen zu werden, die sich als Zeitgenossen ,outeten oder von der jüdischen Verwandtschaft in einer Weise berichteten, die oft konträr zu den Erfahrungen standen, die jüdische Bürger auch in dieser Stadt machen mussten. Es wurden auch Gegenstände einzelnen Gästen übergeben, die ihren Großeltern oder Eltern gehört hatten. Diese Dinge hatten oft einen geringen materiellen Wert, jedoch dafür einen umso höheren emotionalen Erinnerungswert.

Die Gäste aus den USA, Israel, Argentinien und Deutschland waren tief beeindruckt von der Anteilnahme, Sympathie, die die Uelzener Bevölkerung ihnen entgegenbrachte, auch von der Resonanz, die Ausstellung und Feierstunde in der Öffentlichkeit fanden, und von der Aufgeschlossenheit vieler Jugendlicher.
Doch sie fragten auch an, wie die Geschichte der Uelzener Juden den kommenden Generationen gegenüber erfahrbar, nachvollziehbar gemacht werden kann. Diesen Fragen nach Möglichkeiten der Erinnerungsarbeit vor Ort müsste weiter nachgegangen werden und Sie sollten Eingang finden in die derzeitige Diskussion um eine Umgestaltung des Uelzener Museums.

Aus der Sicht der einheimischen Bevölkerung

De Finanzierung der Gedenktafel wurde zu zwei Dritteln von der Sparkassenstiftung und zu einem Drittel aus Privatspenden finanziert.
Die Gedenkveranstaltung zum 9. 11. 2006 im Rathaus war sehr besucht, wie auch die Ausstellung von der Bevölkerung sehr gut genommen wurde. Zahlreiche Schulklassen nutzten die Gelegenheit, einen lokalen Bezug zum schulisch vermittelten Wissen herzustellen. Schüler nahmen an einer Zeitzeugenbefragung und den Gesprächen im Gemeinderaum einer Stadtteilkirche teil wie auch an einer Fahrt zur Gedenkstätte Bergen-Belsen und zur Celler Synagoge. Dabei kam zu guten Gesprächskontakten zwischen den Jugendlichen und de auswärtigen Gästen. Ein Höhepunkt dieser Reise war eine Begegnung eines älteren Juden mit einem muslimischen und christlicher Jugendlichen, in der der Gast aus Israel den Jugendlichen Textstelle aus der Thora vorlas. Die Mehrheit der Schüler nahm mit großem Interesse an dieser Fahrt teil.

NACHHALTIGKEIT

Die Reaktionen der Bevölkerung auf Gedenkveranstaltung und Ausstellung haben uns deutlich gemacht, dass es wichtig ist, die Erinnerung an diesen Teil der Uelzener Stadtgeschichte in angemessener Weise (Stadtmuseum) zu bewahren und zu präsentieren. Leider besteht zurzeit keine Möglichkeit, das in ansprechender Art umzusetzen, unsere Absicht ist, an der Ausarbeitung eines Konzeptes mit zuwirken, das uns dann eine Darstellung jüdischen Lebens in Uelzen erlaubt. Die Arbeit an dem Projekt, Erinnerung(en)an Uelzener Juden wird fortgesetzt und jetzt auf Menschen jüdischen Glaubens erweitert, die vor 1933 die Stadt Uelzen verließen. Ziel ist es, an alle Uelzener Juden im Rahmen eines Gedenkbuches zu erinnern. Wir erwarten hierfür von der Stadt Uelzen eine angemessene Unterstützung.

Dietrich Banse

Zur Person: *6.April 1945, Studium an der Pädagogischen Hochschule Lüneburg, Lehrer von 1971-2008. Gründungsmitglied der Geschichtswerkstatt Uelzen e.V. Schwerpunkte: Geschichte der Uelzener Juden, Uelzen in der Zeit zwischen 1918 – 1945. Sowie Mitarbeit in anderen regionalen Geschichtsvereinen.