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Walter Osterwald

Walter Osterwald (1908–1990) entstammte einer christlich-jüdischen Familie, sein Vater war evangelisch. Walter Osterwald war kaufmännischer Angestellter in einem Uelzener Landhandelsunternehmen. Während des Krieges musste er in einem Arbeitslager in Deutschland Zwangsarbeit leisten. Seine Mutter verstarb 1944 in Theresienstadt. Nach 1945 wurde Osterwald wieder in seiner „alten“ Firma eingestellt. Nach langen Auseinandersetzungen vor bundesdeutschen Gerichten wurde ihm sein Elternhaus im Rahmen der Restitution wieder übereignet.

Im Rahmen der Entnazifizierung wurde er bei Verhandlungen als Zeuge gehört. Die Entnazifizierung zielte auf eine weitgehende Ausschaltung aller nationalsozialistischen und militaristischen Einflüsse. Heute wissen wir, dass dieses Vorhaben der britischen Besatzungsmacht nur teilweise gelang. Die Beschuldigten wurden in fünf Kategorien eingeteilt und je nach Schwere der Vorwürfe entweder vor Spruchkammern oder in leichteren Fällen vor Entnazifizierungsausschüssen angeklagt. Die Beschuldigten mussten ihre Unschuld belegen, daher baten sie Bekannte oder ehemalige Freunde wie etwa Walter Osterwald um eine für sie positive Aussage, hier handelte es sich um so genannte „Persilscheine“, denn die Betroffenen wollten „reingewaschen“ und von jeglicher Mitverantwortung für die Geschehnisse zwischen 1933 und 1945 entlastet werden. Doch Walter Osterwald wurde auch selbst aktiv, indem er sich bei der Besatzungsbehörde über einen Polizisten beschwerte.

Im Rahmen einer Veranstaltung zum Holocaust-Gedenktag 2019 verlasen die Schüler Jakob Krauß, Nicolas Hebestreit und Mohammed el-Zain (Schüler des Herzog-Ernst-Gymnasiums Uelzen) so genannte „Persilscheine“, die Walter Osterwald nach Ende des Krieges Bürgern ausstellte, die vor dem 8. Mai1945 der NSDAP oder anderer nationalsozialistischen Organisationen angehört hatten.

Die „Persilscheine“10 Heinz K. – Hildesheim, den 17.Juli 1946
Lieber Walter! Ich komme heute mit einem Anliegen zu Dir, welches ich lieber nicht stellen würde. Es handelt sich um die Entnazifizierung der Industrie, unter die ich jetzt auch gefallen bin, da ich ab 1.5.37 nominell Parteimitglied war. Bekanntlich bin ich seinerzeit 1934 in Uelzen in die SA eingetreten. Man hat mich dann, da ich dem Dienst nicht mehr nachkam, Anfang 1937 rausgeschmissen und dann bin ich automatisch als Parteimitglied geführt. Ich bitte Dich um Folgendes, falls Du dazu bereit bist, mir eine kurze Bescheinigung zu geben, dass ich mich stets als anständiger Kerl z.B. Dir gegenüber benommen habe und dass Du bezeugen kannst, dass ich nicht zu den 150 %-Schreiern gehört habe. Du wirst schon wissen, was ich meine. Ich wäre Dir mit der Unterstützung in dieser Angelegenheit dankbar. Inzwischen in Eile freundliche Grüsse von Haus zu Haus. Dein H.“

Walter Osterwald – Uelzen, den 2. April 1947
Am 15. Dezember 1939 wurde ich von Herrn F. als Untermieter mit voller Verpflegung aufgenommen. Ich bin Halbjude und hatte seit 1939 keine Angehörigen mehr, da sich meine Mutter in der Nervenheilanstalt Ilten befand, und ich seit 1937 Heiratsverbot hatte. Trotz vieler Anfeindungen und Unannehmlichkeiten wegen Aufnahme in seine Familie, sowie Beschwernissen, u.a. wegen Einstellung von Hausmädchen infolge meiner Abstammung hat Herr F. und seine Frau für mich in jeder Weise gesorgt und für meine Verhältnisse vollstes Verständnis aufgebracht und nie begreifen können, wie derartige Machenschaften möglich seien und seine Abneigung zur NSDAP usw. deutlich zum Ausdruck gebracht. Nicht unerwähnt möchte ich lassen, dass Herr F. und ich während des Krieges zwecks Verfolgung der Kriegshandlungen täglich ausländische Sender gehört haben. Als ich im Jahr 1944 zwangsweise auf Grund meiner Abstammung dienstverpflichtet wurde, hat sich Herr F. meiner Sachen angenommen und dafür Sorge getragen, dass ich bei meiner Rückkehr alles in bester Ordnung wieder vorgefunden habe. Seit Mai 1945 bin ich verheiratet und wohne weiterhin im Hause F. Ich kann Herrn F. in keiner Weise als Propagandisten und Aktivisten bezeichnen, da sich Herr F. mit den furchtbaren Umtrieben der NSDAP nie einverstanden erklärt hat.

Walter Osterwald – Uelzen, den 18. November 1947
Herr Hermann L., Bauer, im Krs. Uelzen, ist mir seit ca. 15 Jahren bekannt und verkehrte des öfteren in meinem elterlichen Hause. Meine Mutter ist Jüdin und somit fielen meine Mutter und ich unter die Nürnberger Gesetze. Nach Herausgabe dieser Gesetze kam auch Herr L. weiter zu uns und hat stets zum Ausdruck gebracht, dass die Maßnahmen gegen die Juden für das deutsche Volk zu keinem guten Ende führen würden. Als meine Mutter nach ihrer Entlassung aus der Nervenanstalt Ilten im Juli 1942 nach dem K.Z. Theresienstadt verschleppt wurde, blieben Herr L. und ich weiter gute Bekannte. Nachdem Herr L. festgestellt hatte, dass in der NSDAP und ihren Gliederungen mit grosser Ungerechtigkeit gegen die Menschheit gearbeitet wurde und L. mit der Judenhetze sowieso nicht einverstanden war, stellte er seinen Posten m.W. im Jahre 1940 zur Verfügung und hat sich nie wieder betätigt. Ich kann Herrn L. nur als einen aufrichtigen, strebsamen und ehrlichen Menschen bezeichnen, der stets bestrebt ist, mit seiner Arbeitskraft der Allgemeinheit und seinem Hofe zu dienen.“

Walter Osterwald – Uelzen, den 20.Juni 1947
An SO 3 PS / SB 914 Mil. Gov. Det., Lüneburg Betr.: Polizeimeister A., z. Zt. Billerbeck Mir ist bekannt geworden, dass der früher in Uelzen tätig gewesene Kriminalbeamte A. heute in B. als Polizeimeister stationiert ist. Ich bin Halbjude und erhielt im Jahre 1937 seitens der Naziregierung Heiratsverbot. Herr A. hatte es sich hiernach zur Aufgabe gemacht, mich zu allen möglichen Zeitpunkten zu beobachten, um mich in Bezug auf Verkehr mit damals so genannten arischen Mädchen bei irgendeiner Gelegenheit zu erwischen. Als mir dieses zum Bewusstsein kam und ich von Freundeskreisen hierauf aufmerksam gemacht wurde, habe ich, um mich vor Zuchthausstrafen wegen angeblicher Blutschande zu schützen, sehr zurückgezogen leben müssen. Herr A. hat weiter grossen Anteil daran, dass ich wegen meiner Abstammung nach vielen Versuchen im Jahre 1942 aus dem öffentlichen Sport ausgeschaltet wurde. Mir ist weiter bekannt geworden, dass Herr A. während des Krieges (Zeitpunkt ist mir leider nicht mehr genau bekannt) plötzlich aus Uelzen verschwunden war und meines Wissens bei der Geheimen Staatspolizei im Generalgouvernement/ Polen Dienst getan hat. Ich bitte daher um Überprüfung dieses Beamten, da m. E. Herr A. in der heutigen Zeit ein derartig guter Posten nicht zusteht. Hochachtungsvoll!“

Dietrich Banse

Zur Person: *6.April 1945, Studium an der Pädagogischen Hochschule Lüneburg, Lehrer von 1971-2008. Gründungsmitglied der Geschichtswerkstatt Uelzen e.V. Schwerpunkte: Geschichte der Uelzener Juden, Uelzen in der Zeit zwischen 1918 – 1945. Sowie Mitarbeit in anderen regionalen Geschichtsvereinen.