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Ein Brief aus Israel

Sehr geehrter Herr Bürgermeister (Otto Lukat),

mein Name ist Aharon Behar, Sohn von Anneliese Behar, geb. Jordan, Enkel von Anna-Frieda Jordan, geb. Plaut, die in Uelzen aufgewachsen ist.
Ferner bin ich Cousin von Grete Ursula Jordan, die ihre Jugend in Uelzen verbrachte, und heute in England ansässig ist. Leider konnte sie aus gesundheitlichen Gründen nicht am Treffen in Uelzen teilnehmen, wurde aber von mir auf dem Laufenden gehalten.

Es ist nun schon ein Jahr her, seit ich Ihre persönliche Einladung zur Reichspogromnacht-Gedenkfeier am 9. 11. 2006 erhalten habe. Ihre Einladung hat mich sehr bewegt, weil meine Familiengeschichte mit Ihrer Stadt zusammenhängt.

Mein Bruder Gideon, meine Schwester Irit und ich sind mit den Geschichten meiner Mutter großgeworden. Sie erzählte über ihre Kindheit in Einbeck und über Besuche bei ihren Großeltern, Martin und Klara Plaut, in Uelzen. Ihre Geschichten aus dieser Zeit endeten 1935, als sie gezwungen wurde, ihre Ausbildung abzubrechen. 1939 heiratete sie meinen (in Berlin geborenen) Vater Itzhak Behar und übersiedelte mit ihm nach Dänemark.

Ich wurde 1942 in Dänemark geboren. Meine Mutter sprach mit uns Kindern nur Dänisch. Im Oktober 1943 haben die Dänen meine Mutter und mich nach Schweden transferiert, was uns das Leben rettete. Mein Vater wurde zum KZ Theresienstadt transportiert und 1945 durch Graf Bernadotte befreit. 1946 wurde mein Bruder in Dänemark geboren. 1949 emigrierten wir nach Israel, dem neugegründeten Staat. Hier wurde 1951 meine Schwester Irit geboren.

Nun, nachdem ich mich kurz vorgestellt habe, möchte ich nochmals auf den wesentlichen Grund meines Besuches in Uelzen zurückkommen, nämlich die Spurensuche meiner Familie. Da meine Frau mich nicht nach Uelzen begleiten konnte, freute ich mich, dass mein Sohn Ehud mitkam. So konnte er die israelische Jugend in Uelzen vertreten. Wie gesagt war das Ziel unserer Reise eigentlich die Nachforschung unserer Familiengeschichte. Deshalb war ich sehr überrascht festzustellen, dass das Hauptthema in Uelzen die Reichspogromnacht-Gedenkfeier war. Es lag den Organisatoren am Herzen, der Jugend die Notwendigkeit von Toleranz und Akzeptierung des Anderen klarzumachen. Ein sehr wichtiges Thema.

In Israel denken viele, dass die UNO die Entstehung Israels nur wegen des Holocausts akzeptierte. Meine Familie hat die schrecklichen Jahre der Nazi-Zeit unterdrückt, und als ich in Uelzen mit den Geschehnissen dieser Zeit konfrontiert wurde, war es für mich so ein Schock, dass ich zwei Wochen lang nach meiner Heimfahrt es noch verarbeiten musste, um mein normales Leben weiterführen zu können. Wir besuchten in Uelzen den jüdischen Friedhof, auf dem Mitglieder der Familie Plaut (darunter mein Urgroßvater Martin Plaut) begraben sind. Wir gingen durch die Brückenstraße, in der bis heute das Haus meiner Urgroßeltern Martin und Klara Plaut steht, spazierten durch die Straßen, die zum Bahnhof führen, wo Häuser der ehemaligen jüdischen Einwohner stehen, u. a. auch das Haus meines Großonkels Ernst und meiner Großtante Lina. Sie emigrierten 1933 nach Palästina und verbrachten den Rest ihres Lebens in Haifa, ihre Klugheit und Weitsicht retteten ihnen das Leben. So konnte ich die Geschichten meiner Mutter fast lebendig werden lassen.

Ich stehe in Verbindung mit Frau Paula Plaut aus Argentinien, die auch am Treffen teilnahm, und mit Herrn Dietrich Banse kooperiert. Herr Banse verdient besondere Anerkennung und Dank für die Organisierung des Treffens. Ich weiß, dass er sich weiterhin bemüht und recherchiert,um ein Buch über die jüdische Gemeinde in Uelzen zu schreiben.

Nach dieser langen Einleitung komme ich nun auf den eigentlichen Grund meines Briefes. Zuerst möchte ich meine höchste Anerkennung aussprechen: Sie und Ihre Mitarbeiter haben eine großartige Leistung für die Organisierung der Gedenkfeier nebst Einladungen vollbracht.
In Uelzen hatte ich lange Gespräche mit Herrn Banse, in denen wir zu dem Schluss kamen, das Gefahr besteht, dass das ehemalige jüdische Leben in Uelzen bald in Vergessenheit geraten wird. Es ist schade, dass es in Uelzen nirgends einen zentral gelegenen Ort gibt, in dem im Rahmen der Stadtgeschichte auch von der Geschichte der jüdischen Gemeinde erzählt wird.
Ich schließe mich den Überlegungen von Herrn Banse an, dass die Stadt sich dieser Aufgabe annehmen möchte.. Falls so ein Museum gegründet werden sollte, wäre es empfehlenswert, Erklärungen in Deutsch und Englisch anzubringen, damit sich auch ausländische Touristen informieren können.

Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie meinen Brief auch an die anderen Leute weiterleiten könnten, die an der Organisierung der Gedenkfeier teilgenommen haben. Sie alle haben in Israel einen Freund gefunden, der sich freuen würde, Sie hier aufzunehmen um, Ihnen das kleine, aber geschichtsträchtige Land zu zeigen.

Mit freundlichen Grüssen

AHARON BEHAR – Enkel einer Bürgerin von Uelzen
Februar 2007